Pro und Contra Linux (Chips & Tricks, Südwest Presse, 2. Mai 2001)


Das Thema

Wenn im Herbst Microsofts Windows XP auf den Markt kommt, werden sich viele Fans über neue Funktionen und bessere Stabilität freuen. Die Anhänger des alternativen Betriebssystems Linux dürften dagegen nur milde lächeln: Wieder ein unflexibler, instabiler Bolide, der überteuert ist.

Große Vorteile

JOCHEN MEYER-HILBERG

Zunächst einmal sollte man wissen, daß Linux ein alternatives Betriebssystem für PCs ist, das von zahlreichen über das Internet zusammengeschlossenen Entwicklern geschaffen wurde, die z.B. mit Windows unzufrieden waren. Bei dieser Linux-Gemeinde kann man sich per Internet und eMail mit Informationen und Ratschlägen versorgen: In Ulm gibt es dazu übrigens eine "Linux User Group" (www.lugulm.de).

Leider kursieren einige Vorurteile gegen Linux, denen folgendes entgegenzusetzen ist: Die Installation z.B. von SuSE-Linux (www.suse.de) ist ohne weiteres von Anfängern ohne Vorwissen durchführbar. Graphische Benutzeroberflächen ("Klick & Go") sind inzwischen auch für Linux verfügbar, so daß Nicht-Experten damit sofort gut zurecht kommen. Kommerzielle Programme (z.B. Matlab, Telefonbuch-CD etc.) gibt es seit einiger Zeit auch für Linux. Selbstverständlich werden echte Standardformate (z.B. PDF, JPG, MP3, LaTeX etc.) von Linux unterstützt und können mit Windows-Anwendern problemlos ausgetauscht werden.

Die großen Vorteile von Linux sind schnell aufgezählt: geringe Kosten, extrem hohe Sicherheit und Zuverlässigkeit, keine Verschwendung von Resourcen sowie exzellente Verfügbarkeit aller Arten von Anwendungsprogrammen. Linux ist extrem absturzsicher (Der Autor hat in 4 Jahren keinen einzigen PC-Absturz zustandegebracht!). Diese Vorteile beruhen letztendlich auf der Motivation der Linux-Entwickler, die nicht Profit machen wollen, sondern deren Ehrgeiz es ist, qualitativ höchstwertige Software zu erstellen.

Für nur 39,90 DM bekommt man bei Lehmanns Fachbuchhandlung (www.lob.de) "Debian GNU/Linux": Auf den vier CDs sind über 4000 Pakete mit allen wichtigen Anwendungsprogrammen wie Textverarbeitung, Spiele, Musik-, Graphik- und Bildbearbeitungs-Software, Internet-"Brauser", Compiler, eMail- und Mathematik-Programme etc. enthalten, wobei auch kostenlose Nachbauten von vielen kommerziellen Programmen (z.B. Photoshop, Cubase, Matlab etc.) verfügbar sind, die teilweise sogar die Originale qualitativ übertreffen.

Eingefleischte Windows-Anhänger werden sich von diesen Argumenten nicht bekehren lassen, frustrierte Windows-Benutzer werden aber hoffentlich soweit ermutigt, sich mit Linux zu beschäftigen: Ihre Neugier wird mit einem deterministischen Betriebssystem belohnt werden, bei dem der Benutzer den PC beherrscht, und nicht umgekehrt. Übrigens gibt es auch unter Linux die bei Windows gefürchteten "Blue-Screens": allerdings nur als Bildschirmschoner!

Sehr spartanisch

THOMAS VEITINGER

Zugegeben: Windows ist nicht gerade ein Muster von Zuverlässigkeit. Besonders gehasst dürfte etwa das Einfordern einer Diskette oder CD sein, die bereits aus dem Laufwerk genommen ist. "Jetzt ist sie halt schon weg, Mensch!", will man in solchen Situationen Windows zurufen, "kapier das doch." Windows Me geht statt dessen in die Knie und präsentiert den gefürchteten blauen Fehlerbildschirm.

Doch das ist nun mal so. So, wie es bei Linux auch viele Dinge gibt, die einen nerven. Das fängt schon bei der umständlichen Einrichtung an. Warum schafft es Microsoft, dass es ausreicht, eine Installations-CD ins Laufwerk zu stecken, ein paar Fragen zu beantworten und dann ist das Betriebssystem auf dem Rechner - Linux will dagegen irgendwelche Lilo-Bootmanager eingerichtet wissen, Rechte haben und Dateien angepasst wissen. Aber das ist nur der Anfang. Wer danach ein Netzwerk, ein Zip-Laufwerk oder gar einen Internet-Zugang einrichten will, muss sich erst einmal einlesen und mit Befehlszeilen herumschlagen. Kaum ein Assistent ist da und mit Herumspielen und Versuchen kommt man nicht weit.

Vor allem die fehlende Selbsterklärungen nerven. Immer wieder in dicken Handbüchern nachschlagen oder im Internet nach Erklärungen wühlen, scheint eine Grundvoraussetzung für die Nutzung von Linux zu sein. Doch eigentlich will ich gar nichts mit Befehlen à la Dos zu tun haben. Ein Betriebssystem sollte funktionieren wie ein Auto: was unter der Motorhaube passiert, ist mir egal. Dass dies Linux-Anhänger auch so sehen, zeigt die Windows immer ähnlicher werdende Oberfläche und neue Funktionen wie Hardware-Erkennung. Erst jetzt fallen lästige Einschränkungen wie das Unterbringen der Boot-Partition innerhalb der ersten 1024 Zylinder weg.

Dazu kommt: Windows ist Quasi-Standard, Software und Treiber gibt es zuhauf, für Linux hingegen nur wenige. Im Übrigen sind Icons, Fenster und Symbole einfach schöner als die spartanischen Linux-Zeichen. Wer Schönheit und Innovation liebt, sollte zu Windows greifen. Wem Stabilität und ein Grundverständnis wichtig ist, kann sich ja mit Linux herumschlagen.


Entnommen der Südwest Presse vom 2. Mai 2001 (Chips & Tricks): http://www.swp.de/
Impressum
Disclaimer